Debüts, erzählend, Jahrestage, reihenweise

Zum 3. Oktober (II): Thomas Brussig: Wasserfarben

Anton Glienicke steht kurz vor dem Abitur und hat keine Ahnung, wohin mit sich und seinem Leben. Journalistik studieren fällt flach, wegen Westverwandtschaft. Und zu etwas anderem hat er keine Lust.

Also baut er erst einmal den üblichen Mist aller planlosen Jungs kurz vor dem Schulabschluss: Die Eltern der braven Freundin schockieren, sich in der S-Bahn besaufen, mit dem Direktor der Oberschule Streit anfangen. Harmlos, eigentlich.
Nur sind wir hier im Ostberlin der 80er Jahre, weit und breit kein Mauerfall in Sicht, und harmlos ist hier gar nichts. Anton weiß das nur zu gut. An seiner Oberschule gibt es genug Schüler oder auch Lehrer, die unter die Räder gekommen sind: Von der Mitschülerin, der vom gesamten Lehrkörper nahegelegt wird, sich doch bitte von ihrem unangepassten Freund, der in einer Punk-WG lebt, zu trennen, bis zum Deutschlehrer, der den falschen Autor zur Dichterlesung in die Schule eingeladen hat und inzwischen als Straßenbahnfahrer arbeitet.
„Sie haben uns eben in der Hand,“ so Antons resignierte Bilanz, als ein Mitschüler fliegt, der bei einer offiziellen Veranstaltung die falsche Frage gestellt hat. „[E]s hätte jeden treffen können. [B]ei einem wird das dann plötzlich hochgespielt, und dann heißt es, dass derjenige unter feindlichen oder westlichen oder antisozialistischen oder was weiß ich für Einflüssen steht, und dann kann man nur noch zwischen Kohlenhandel und Straßenbau wählen. So ungefähr läuft es.“

Ob Anton selbst, mit seiner Verweigerung und seinen Eskapaden, wohl mit heiler Haut davonkommen wird? Als Leser macht man sich zunehmend Sorgen …

„Das Ultimatum“ und „Wasserfarben“: Zwei sehr unterschiedliche Debüts, zweimal ein Ich, das über Freiheit und Terror reflektiert: In weiblicher Gestalt einer jungen, klugen Studentin bei Ruttmann, und die männliche, so planlose wie wütende Perspektive hält Brussig parat.

Thomas Brussig: Wasserfarben.
229 Seiten.
ISBN: 978-3-7466-3205-6
9,99 €
Aufbau Taschenbuch

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