„The simplest solution to the problem of race in America? Romantic love. […]. Real deep romantic love […] that makes you breathe through the nostrils of your beloved. And because that real deep romantic love is so rare, and because American society is set up to make it even rarer between American Black and American White, the problem of race in America will never be solved.“
Ifemelu will sich das Haar neu flechten lassen. Das bedeutet notgedrungen eine Expedition in den schlechten Teil der Stadt, zu „Mariama African Hair Braiding“ – schlechte Luft, Uralt-Klimaanlage, abgegriffene Modemagazine, handgemalte Schilder „Quick Tax Refund“, die Friseurinnen radebrechen etwas, das sie für Englisch halten, und aus dem Mini-Fernseher plärren Nollywood-Filme in Endlosschleife.
Eine junge Weiße taucht dann auch noch irgendwann auf in diesem Salon, sichtlich bemüht, ein gutes Werk zu tun, und ist verblüfft darüber, dass für Afro-Frisuren selbstverständlich künstliche Haarteile verwendet werden: „Aber ich dachte immer, alle afrikanischen Frauen hätten von sich aus so volles Haar!“
Das Haar afrikanischer Frauen – immer wieder nutzt es Adichie als buchstäblich lebendigstes, greifbares Bild für all das, was die weiße und die schwarze Lebenswelt voneinander trennt. Immer wieder kehrt die Handlung, folgerichtig, in Mariamas Salon zurück, und die Verhandlungen mit anderen Kundinnen („What kind of braids you want?“), das Geplauder der Friseurinnen bilden den Rahmen für den in den USA angesiedelten Teil des Romans.
Einer ungläubigen weißen Freundin wird Ifemelu einmal erklären, dass Michelle Obamas Haar nicht von Natur aus glatt sein kann: Sie zieht es mit Chemikalien gerade, natürlich – denn nur mit glattem white-girl swing wirkt man als schwarze Frau seriös genug, wird nicht für eine exzentrische Künstlerin oder militante Bürgerrechtlerin gehalten. Nach den Implikationen solcher ungeschriebenen Gesetze fragt niemand.
Wie auch nicht danach, dass Ifemelu beim Einchecken im Hotel kühl ignoriert wird und man nur ihren weißen boyfriend als Ansprechpartner wahrnimmt. Dass sich die weiße Friseuse weigert, eine Schwarze zu bedienen. Dass die Verwandtschaft ihres weißen boyfriends ihr mit unechter, überkorrekter Nervosität oder mit latenter Feindseligkeit begegnet.
Ifemelu, die Adichie im eigenen Heimatland Nigeria aufwachsen und einen Studienplatz an einer US-amerikanischen Universität ergattern lässt, hat es irgendwann satt. Sie beginnt, diese und andere Erfahrungen und Beobachtungen in einem anonymen Blog festzuhalten. Dieser wird bald von Tausenden gelesen, Firmen, Schulen, Universitäten laden Ifemelu zu Vorträgen und Diskussionen ein, keine geringere Institution als Princeton gewährt ihr ein Stipendium.
Doch Ifemelus Heimweh nach Nigeria, wo inzwischen eine demokratische Regierung die Militärs abgelöst hat und es nach langen Jahren des Niedergangs auch wirtschaftlich wieder aufwärts geht, wird immer stärker …
Adichie erzählt nicht nur von den USA. „Americanah“ ist auch ein Portrait des heutigen Nigeria, wo stilles Dorfleben und die Metropolen mit ihren Hochglanz-Wolkenkratzern zwar immer noch relativ unsanft aufeinanderprallen, sich aber auch eine beständig wachsende Mittelschicht etabliert (was man Nordhalbkugel-Bewohnern nicht oft genug erzählen kann, die bei Afrika an „Brot für die Welt“-Plakate denken).
Sie erzählt nicht nur die Geschichte einer jungen Frau. Ein Teil des Romans, und fast der beste, handelt von Obinze, Ifemelus Jugendliebe, der sich als Illegaler in England durchschlägt.
Und trotz eines entsprechenden Studiums erzählt sie nicht als routinierte Creative-Writing-Autorin, sondern wächst über angelerntes Handwerkszeug hinaus und schildert so souverän wie mitreißend Schauplätze wie Figuren – ob London, Lagos, Nsukka, New Haven oder Baltimore, ob die überangepassten Migranten, die es in England geschafft haben und Obinze subtil ihre Überlegenheit spüren lassen, ob Ifemelus akademisch geprägter amerikanischer Freundeskreis, der sich beim Wahlsieg Obamas tränenreich bei Risotto und virgin cocktails in die Arme fällt.
Manches geht indes auch schief: Die Entfremdung zwischen Ifemelu und Obinze könnte glaubwürdiger motiviert sein. Sprachlich ragen zuweilen irritierende Poetisierungen in die sonst so lesbare, wunderbar rhythmisierte Prosa („Their mutual dislike was a stalking leopard in the room“).
Aber dieses Knirschen legt sich bald wieder. Zurück bleibt, was vielleicht einmal als einer der großen Romane des 21. Jahrhunderts gelten wird – oder schon gilt – der sich über Ländergrenzen und Kontinente erstreckt, und dessen Hauptfiguren, die kluge, unbestechliche Ifemelu, der bedächtige Obinze, sicherlich für Leser weltweit zu Identifikationsfiguren werden.
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah.
608 Seiten.
8,99 €
ISBN-10: 0307455920
ISBN-13: 978-0307455925
Anchor Verlag