Amity Harbor, the island’s only town, […] was an eccentric, rainy, wind-beaten sea village. […] Rain, the spirit of the place, patiently beat down everything man-made.
Guterson zeigt uns eine USA off the beaten track: Sein Kriminalroman spielt im äußersten Nordwesten, auf der entlegenen Insel San Piedro vor der Küste des Bundesstaats Washington.
Es sind die 1950er-Jahre. Der Zweite Weltkrieg ist zum Glück vorbei, und die Handvoll Menschen auf San Piedro, Weiße, ein paar Indianer, japanische Einwanderer, kann weitermachen wie bisher: Fischfang oder Erdbeer-Anbau, und einmal im Jahr zur Feier der Ernte das große Erdbeerfest mit einem bunten Umzug durchs Städtchen.
Dann geht eines Tages den Fischern einer der ihren als Wasserleiche ins Netz. Ein Unfall? Es sieht nicht danach aus …
Als die Polizei einen Japaner für das Verbrechen verantwortlich macht, ihn verhaftet, den Prozeß gegen ihn eröffnet im hastig umfunktionierten Schulhaus, zeigt sich mehr und mehr, wie sehr das stille, friedliche Leben auf der Insel trügt, und was für tiefe Wunden der überstandene Weltkrieg vielen Inselbewohnern zugefügt hat …
Guterson lässt seine Kriminalhandlung vor dem Hintergrund eines wenig rühmlichen Teils der US-amerikanischen Geschichte spielen – nämlich der Vertreibung und Internierung aller aus Japan stammenden Bewohner der USA während des Zweiten Weltkriegs.
Erinnern wir uns: Die USA weigerten sich lange, in diesen Krieg einzutreten. Die öffentliche Meinung schlug erst um, als die japanische Luftwaffe am 7. Dezember 1941 aus dem Nichts einen Angriff auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor flog, der mehr als 2000 Amerikanern, Soldaten wie Zivilisten, das Leben kostete – nun wollte man sich umgehend an Japan rächen und den Krieg für sich entscheiden.
Der spätere Sieg hat bis heute einiges an mythischer Verklärung erfahren, dies- wie jenseits des Atlantiks. Doch Guterson bringt dieser glänzenden Oberfläche einen entschlossenen Kratzer bei, indem er in „Snow falling on cedars“ davon erzählt, wie es unmittelbar nach Pearl Harbor denjenigen erging, die in den USA lebten, aber aus Japan stammten.
Denn ob sie schon seit Generationen in den USA heimisch oder in jungen Jahren eingewandert waren – nach diesem Angriff spielte es keine Rolle mehr. Man sah sie als Feinde, vertrieb sie auf Anweisung der US-Regierung von der gesamten Westküste bis weit ins Landesinnere, wo sie bis Kriegsende in hastig errichteten und teilweise völlig unzureichend ausgestatteten Lagern interniert wurden.
Den US-Amerikanern deutscher und italienischer Abstammung geschah vergleichsweise wenig, obwohl es ja nur logisch gewesen wäre, auch sie als „feindliche Ausländer“ zu behandeln.
Japaner, oder japs, wie ihre weißen Mitbürger sie häufig abfällig nannten, waren wohl schlicht ein leichteres, weil rassistischen Vorurteilen entgegenkommendes Ziel in ihrer (sichtbaren) Fremdheit.
Guterson prangert diesen Rassismus offen an, wenn er die Gemeinde auf San Piedro sofort einen Japaner verdächtigen und anklagen lässt. In der weite Teile des Romans umspannenden Gerichtsverhandlung geht es nur vordergründig darum, den Tod eines – deutschstämmigen – Fischers aufzuklären. Vielmehr stehen Haß und rassistisches Vorurteil der weißen Bevölkerung San Piedros zur Anklage, geht es um den Sieg der Wahrheit und des Guten angesichts von Habgier und Gewalt.
Entsprechend darf die Natur mit Schnee und Eis in alttestamentarischer Größe im Hintergrund wüten und auf ihre Art an die Ohnmacht der Menschen erinnern, und entsprechend symbolische Funktion haben auch die Figuren:
Der sich so stolz und still verhaltende Angeklagte mit seinem beeindruckenden Gesicht. Sein alter Strafverteidiger, der, auf einem Auge blind, als geistiger Verwandter eines Teireisias erscheint.
Die beinahe überirdisch schöne Frau des Angeklagten.
Der durch den Krieg an Körper und Seele verwundete Chronist des Geschehens, die Hauptfigur Ishmael, ein Lokaljournalist, der für die „San Piedro Review“ über den Prozess berichtet und im Laufe des sich doch noch zum Guten wendenden Geschehens schließlich Heilung von seinen Traumata erfahren wird.
Guterson legt indes eine dicke Schicht behagliches 50er-Jahre-Pastell der Eisenhower-Ära über dieses tief moralische Grundgerüst, plaudert parallel zur Gerichtsverhandlung von Schneeballschlachten im Hafen, vom Schulbus, der gefährlich übers Eis schlingernd tapfer jedes Kind direkt vor der Haustür absetzt, von Nachbarschaftshilfe trotz Wind und Wetter, von rauen Fischern mit goldenen Herzen.
Dass das zuweilen klischeehaft und allzu nostalgisch wirkt, ist weniger das Problem. Problematisch ist, wie nah man sich instinktiv diesen weißen, uramerikanischen Figuren fühlt, und wie fremd dagegen die japanische Lebenswirklichkeit erscheint, trotz allen Bemühungen des Autors, diese auf der Grundlage zweifellos sorgfältiger Recherchen zu schildern. Traut Guterson sich nicht, seinen Figuren mit japanischen Wurzeln mehr Leben einzuhauchen – aus Angst, das könnte irgendwie falsch, diskriminierend, ja gar rassistisch sein? Oder bleibt ihm eine von japanischen Werten bestimmte Welt letztlich doch allzu fremd?
Was auch dahintersteckt, es kostet den Roman einiges an emotionaler Glaubwürdigkeit, und bei aller Schönheit von Gutersons Prosa bleibt doch ein etwas hölzerner Eindruck zurück.
Aber zumindest die Botschaft ist ja bei uns allen angekommen.
Snow falling on cedars: Insgesamt keine ganz so runde Sache. Öffnet aber die Augen für ein düsteres Kapitel US-amerikanischer Geschichte.
David Guterson: Snow falling on cedars.
432 Seiten.
8, 99 ₤
ISBN: 9781408891414
Bloomsbury.