Chaos was a constellation of students, running out of the school and trampling the injured. A boy holding a handmade sign in an upstairs window that read HELP US. Two girls hugging each other and sobbing. Chaos was blood melting pink on the snow, […] a TV camera in your face, not enough ambulances, not enough officers, and no plan for how to react when the world as you knew it went to pieces.
Der Frühling steht vor der Tür im beschaulichen Kleinstädtchen Sterling, New Hampshire. Die Sonne scheint, der letzte Schnee schmilzt, vor der Sporthalle der Sterling High School knutschen die jungen Hockey-Athleten aus dem Schulteam mit ihren Freundinnen rum. Und an eben dieser Sterling High zieht am gleichen Tag Peter Houghton, 17 Jahre alt, mit seiner Pumpgun durch Flure und Klassenräume und schießt auf alle, die nicht schnell genug fliehen können. In der Cafeteria legt er eine kurze Pause ein und isst zwischen den Leichen seiner Mitschüler eine Schüssel Cornflakes mit Milch. Dann macht er weiter. 19 Minuten dauert es, bis die Polizei ihn stoppen kann.
Grisham reloaded?
Kaum ein Roman der fleißig schreibenden Bestseller-Autorin Picoult kommt ohne Gerichtsverhandlung aus, und auch „19 minutes“ ist im Wesentlichen ein spannendes courtroom drama à la Grisham oder Clancy. Man kennt das: Das furchtbare Verbrechen geschieht, doch nach dem ersten Entsetzen wird der Leser sachte wieder vom Abgrund weggeschubst, und die Bewältigung nimmt ihren tröstlichen Lauf – in Gestalt eines möglichst vielschichtigen, gesellschaftliche Realitäten abbildenden Figurenarsenals, vom smarten jungen Anwalt über die rechtschaffen wütende Mutter/Ehefrau/Freundin/Tochter des Opfers/Täters bis zum engagierten „harte Schale weicher Kern“-Cop. Alle treffen sich vor Gericht, wo sie auch alle früher oder später ihre Aussage machen (Gelegenheit für den Autor, bei den entsprechenden Rededuellen Handwerk zu zeigen), und zum Schluss spricht Judge Soundso, gerne schwarz oder eine Frau oder beides, ein gerechtes Urteil.
Und mit diesem Urteil die Spannung raus. Man klappt das Buch zu und hat die Handlung sofort vergessen.
Das ist bei „19 minutes“ auch so.
Aber: Hier ist es wirklich schade.
Denn Picoult nutzt den Thriller-Bausatz immerhin zeitweise dafür, den moralischen Ambivalenzen des netten Kleinstadt-Lebens auf den Zahn zu fühlen.
Amoklauf als Verzweiflungstat
Ihre erfolgreichen Kids bunkern zu Hause unterm Bett Schlaftabletten für den Tag, an dem die Beliebtheitsquote wieder sinkt. Der Goldjunge der High School schlägt seine Freundin, nur weil sie auf der Party nicht die ganze Zeit an seinem Arm hängen will. Und natürlich: Peter Houghton, der Amokläufer. Jahrelang haben alle sein Elend ignoriert, Eltern, Lehrer, Mitschüler, haben weggesehen, während er von der Gruppe der beliebten Kids verhöhnt, verprügelt, in Schränke gesperrt wurde oder sie ihm den Kopf ins Schulklo gehalten haben. Ist es überhaupt Mord, wenn so jemand irgendwann Amok läuft, fragt Peters Anwalt kühn in den Gerichtssaal hinein – oder muss man hier eigentlich von Notwehr sprechen?
Im Zweifel gegen die Angeklagten
Man hätte die Autorin gern tiefer bohren sehen, gerne mehr übers Abwägen moralischer Gewissheiten gelesen. Aber letztlich scheint sie selbst nicht so recht zu wissen, wo sie eigentlich hinwill mit all den Brüchen, die sie so engagiert aufdeckt, mit den Rissen in der Kleinstadt-Fassade und der Frage nach Schuld und Unschuld. Irgendwie läuft es, ein wenig hilflos, auf die Botschaft hinaus, dass wir alle mehr aufeinander achten und füreinander da sein sollten.
Und sehr viel weniger hilflos darauf, dass Verbrechen hart zu ahnden sind. Sehr hart. Solange das Verfahren fair abläuft, ist gegen eine Haftstrafe von über 100 Jahren nichts einzuwenden. Und ist sie glücklich verhängt, kann man in Ruhe das Happy End konstruieren: Die meisten Hauptfiguren, auch der jugendliche Täter, finden irgendwie ihren Frieden. Und die High School wird natürlich renoviert.
Jodi Picoult: 19 minutes
455 Seiten.
$ 5.99 (Hardcover)
ISBN-10: 0743496736
ISBN-13: 978-0743496735
Washington Square Press