Mit dreizehn fanden wir Tupac eine Zeitlang total cool, Rapper, USA, Gefängnis und so. Wovon genau er sang, verstanden wir allerdings nicht ganz, unser Englisch war zu schlecht.
Vielleicht höre ich ja jetzt aber nochmal in ein paar Alben von ihm rein, und daran ist Angie Thomas schuld mit ihrem Jugendroman „The hate u give“. Ihre Figuren verehren Tupac und zitieren ihn am laufenden Band, vor allem seine Masche, eigentlich abfällig gemeinte Begriffe, thug, Nigger, wie Abkürzungen zu behandeln und dadurch positiv umzudeuten. „The hate u give“ ist auch so eine Umdeutung, und zwar von thug life, Dealerleben, Gangsterleben, in den Spruch „The hate u give little infants fucks everybody“. Wie wir also unsere Kids behandeln, das fällt früher oder später auf uns alle zurück – geben wir ihnen Hass auf den Weg, dann werden sie den als Erwachsene reproduzieren. Gar nicht dumm.
Starr, die sechzehnjährige schwarze Hauptfigur, hat bisher das Glück gehabt, keinen Hass mitzukriegen, sondern viel Liebe und Fürsorge. Zwar lebt sie mitten in Garden Heights, einem Stadtviertel der schlimmeren Art, wo die Bewohner mehrheitlich schwarz und arm sind und schon mal am hellichten Tag Maschinenpistolen knattern. Aber ihre Eltern zählen immerhin zur dünnen Mittelschicht des Viertels, rackern sich ab für ihre Kinder, der Vater mit seinem kleinen Laden, die Mutter als Krankenschwester. Starr und ihre Geschwister besuchen eine gute Schule und müssen sich weder als Dealer noch als Gangmitglieder durchschlagen.
Aber ein Ghetto wie Garden Heights, von Polizei und Behörden gleichermaßen links liegen gelassen, hat seine eigenen Gesetze. Die Gewalt ist hier so allgegenwärtig, dass auch die engagiertesten Eltern ihre Kinder auf Dauer nicht davor schützen können. Als Starr zehn ist, wird vor ihren Augen ihre beste Freundin beim Spielen auf der Straße erschossen.
Und mit sechzehn verliert sie auch ihren zweiten besten Freund, den unbeschwerten, klugen Khalil. Diesmal schießt aber keine Gang. Diesmal schießt ein Cop.
Alle schwarzen Eltern, so erfahren die Leserinnen gleich zu Beginn des Romans, führen neben dem „Blümchen-und-Bienen-Gespräch“, das auch weiße Familien kennen, noch ein anderes Gespräch mit ihren Kindern: Darüber, was zu tun ist, wenn man von der Polizei angehalten wird. „Nur reden, wenn du gefragt wirst. Hände da, wo die Cops sie sehen können. Keine plötzlichen Bewegungen!“
Aber gleich im ersten Teil des Buchs, „Als es passiert“, zeigt Thomas, wie wenig solche Verhaltensregeln nützen in einer Situation, in der man es nur falsch machen kann. Als Starr und Khalil in seinem Auto von einer Party zurückfahren und die Polizei sie anhält, fühlt sich einer der beiden Cops plötzlich bedroht von irgendetwas, das Khalil tut, und schießt auf ihn. Starrs Party-Wochenende endet damit, dass sie blutbeschmiert neben der Leiche ihres Sandkastenfreundes auf der Straße kauert.
Angie Thomas liegt nun daran, ihrem jungen Lesepublikum eines klar zu machen: Es ist ein großes Glück, und beileibe keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich sicher sein kann, dass Polizei und Behörden im Bedarfsfall weiterhelfen. Ein Glück, dass schwarze US-Bürger so nicht haben.
Am Beispiel ihrer jungen Hauptfigur Starr spielt Thomas bis zum bitteren Ende durch, was das heißt, lässt Starr allen Mut zusammennehmen und bei der Polizei und vor einem Geschworenengericht ihre Aussage machen, um für Khalil Gerechtigkeit zu erlangen, schildert die Konflikte, die dadurch in Starrs Familie und in ihrem Freundeskeis aufbrechen, erzählt davon, wie sich doch alle zusammenraufen und Starr unterstützen.
Als schwebe der Geist des großen Tupac über der Erzählung, ist das alles engagiert, lebensklug und schwungvoll erzählt, hat echte Emotionen, echten Zorn, echte Trauer und Menschen statt Figuren zu bieten. Vor allem aber spricht für Thomas, dass sie kein Happy End für ihr Lesepublikum parat hat, zumindest was die Haupthandlung betrifft. Alle Bemühungen um Gerechtigkeit nach Khalils Tod scheitern, gegen den verantwortlichen Polizisten wird nicht einmal ein Verfahren eröffnet – eine Entscheidung, die Thomas nüchtern als Regel, und nicht als Ausnahme, darstellt. Ganz schön bitter für einen Jugendroman. Aber Jugendliche wollen ernst genommen werden, und dazu gehört ja schließlich, ihnen die Realität soweit als möglich zuzumuten. Angie Thomas nimmt ihre jungen Leserinnen ernst, und allein dafür hat sie den deutschen Jugendbuchpreis, und die vielen anderern Auszeichnungen, mehr als verdient.
Angie Thomas: The Hate U Give.
ISBN: 978-3-570-31298-8
512 Seiten.
9,99 Euro.
cbj