Ach, das Krippenspiel. Es gehört zu Weihnachten wie der immergrüne Baum. In Barbara Robinsos erfrischendem Kinderbuch, längst ein Klassiker, gerät eine nette kleine US-Kleinstadt durch verunglücktes Krippenspiel-Casting in Aufruhr.
Denn dieses Jahr haben sich die Herdmanns alle tragenden Rollen unter den Nagel gerissen. Die Herdmanns, fiese, abgefeimte, halbkriminelle Gören.
Der Herdmann-Vater ist vor langer Zeit einfach abgehauen, die Herdmann-Mutter lässt den Nachwuchs machen – auch wenn der Chemie-Baukästen klaut und zusammen mit Nachbars Gartenschuppen explodieren lässt. Oder das Herdmann-Haustier, diese berüchtigte, bissige, chronisch schlecht gelaunte Fast-Wildkatze, als Anschauungsobjekt in den Bio-Unterricht mitbringt und den Schulbetrieb damit für den Rest des Tages lahmlegt.
Und nun also das Krippenspiel. Eigentlich leitet die mächtige Frau Armstrong jedes Jahr die Proben, wie sie überhaupt alles leitet oder organisiert, was mit der Kirche zu tun hat. Aber in diesem Jahr bricht sie sich das Bein und fällt aus. Alles muss neu organisiert werden. Und ausgerechnet an meiner Mutter, informiert uns die junge Erzählerin, blieb das Krippenspiel hängen!
Das Ich, der kleine, freche Bruder Charlie und der Vater mit seinen trockenen Kommentaren („Das ist deine große Chance. Warum bläst du die ganze Sache nicht einfach ab und zeigst stattdessen Filme?“) müssen ab jetzt drastische Veränderungen im Familienleben hinnehmen. Vor allem ruft Frau Armstrong mehrmals täglich an, um sich stundenlang über Kostümlängen, einfühlsame Rollenverteilung und Lippenstift im Engelchor auszulassen. Noch vor der ersten Probe, so das Ich, hing Mutter die ganze Sache schon längst zum Hals heraus.
Aber die Mutter, die im Lauf der Erzählung mehr und mehr den Part des, wenn auch leicht überforderten, moralischen Kompasses übernimmt, ist dann doch wild entschlossen, an der großen Aufgabe zu wachsen. Wütend auf die Armstrong-Diktatur und all die Nachbarn und Gemeindemitglieder, die Sorge und Beistand heucheln, wo sie bloß gierig sind auf den großen Skandal, verkündet sie energisch, das beste Krippenspiel aller Zeiten, jawohl, mit den Herdmanns zu machen!
Wie das konkret gehen soll, weiß sie aber natürlich auch nicht. Anders als alle anderen Kinder, die sich brav jahrelang jeden Sonntag in die Sonntagsschule geschleppt haben, haben die Herdmanns von Bibel und Jesus und Weihnachtsgeschichte keine Ahnung. Nach den ersten weitschweifigen Erklärungen wollen sie dann erstmal alles umschreiben und Herodes, dem Schurken, ans Leder.
Sie verstehen auch nicht, dass sie für die Gemeinde als eine Art Tableau zur kontemplativen Betrachtung dienen sollen, von Sprechrollen, also Text, nie die Rede war und Eugenia/Maria Ralf/Josef nicht auf offener Bühne anpflaumen kann.
Außerdem raucht Eugenia Herdmann in der Probenpause, und nebenan beim Wohltätigkeitsessen riechen sie was, werden hysterisch, rufen die Feuerwehr, und alles endet damit, dass eifrige Einsatzkräfte schwere Schläuche durch Kirche und Gemeindesaal schleppen, während draußen auf dem Parkplatz Engel und Hirten begeistert auf dem Feuerwehrauto auf- und abhopsen. „Ich weiß überhaupt nicht, was passieren wird,“ stöhnt die Mutter kurz vor der großen Premiere. „Wir sind nicht ein einziges Mal ganz durchgekommen.“
Bei aller Stagnation auf der Bühne: Im Kleinstadt-Alltag tut sich bei Robinson dafür umso mehr. Vor allem lässt die Autorin die Grenze zwischen „Guten“ und „Bösen“ verschwimmen. Die schlimmen Herdmanns machen zwar geregelte Proben unmöglich, sind aber auch rührend neugierig auf den unbekannten Stoff und geben sich alle Mühe, ihre Rollen auszufüllen („‚Geh vom Baby weg!‘ schrie Eugenia Ralf Herdmann an“). Auf der Seite der „Guten“ ertappt unterdessen das Ich die eigentlich beste Freundin Alice – sauber, blond, brav („[Ihrer Mutter] war es schon peinlich, dass Katzen Junge hatten und dass Vögel Eier legten, und niemals ließ sie Alice mit jemandem spielen, der zwei Kaninchen hatte“), sonst immer fraglos die Maria – dabei, wie sie penibel Buch führt über Herdmann-Untaten während der Proben („Eugenia Herdmann trinkt Abendmahlswein“).
Sind es wirklich die Herdmanns, vor denen man sich fürchten muss?
Das eigentliche Thema von Robinsons Krippenspiel-Krimi ist also nicht die Erlösung der schwarzen Herdmann-Schafe durch den Zauber der heiligen Weihnacht (obwohl sie sich durchaus wandeln). Sondern andersherum: Indem sich die Herdmanns ins Gemeindeleben boxen, erlösen sie ein selbstgerechtes Städtchen aus dem immergleichen Trott. So wie der Verkündigungsengel/Hedwig Herdmann also begeistert „Hey, euch ist ein Kind geboren!“ in den Kirchenraum brüllt, dass alle zusammenfahren und die Hirten sich fürchten („vor Hedwig natürlich, aber auf jeden Fall wirkte es gut“), wird die Weihnachts-Tradition neu geschüttelt und gerührt durch Robinsons Schmuddelkinder. Wer möchte, kann das eine christliche Botschaft nennen. Aber ist das so wichtig? Robinson verlangt einfach Menschlichkeit, den Stopp aller bigotten Hysterie und Heuchelei – und wenn schon nicht im Alltag, dann wenigstens an Weihnachten.
Barbara Robinson: Hilfe, die Herdmanns kommen
128 Seiten
ISBN: 978-3-7891-0771-9
Verlag Friedrich Oetinger
auch als E-Book erhältlich