Bovald Rump ist endlich weg, und es sieht ganz so aus, als würde sich die Obama-Ära nahtlos fortsetzen, mit seinem ehemaligen Vize an der Spitze. Da kommt „A promised land“, Obamas Rückblick auf politischen Werdegang und erste Jahre im Weißen Haus, gerade recht.
Nicht nur mir, sondern der halben Welt scheint es da ähnlich zu gehen: Die deutsche Übersetzung „Ein verheißenes Land“, beispielsweise, steht schon wochenlang auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, und das bei einem derartigen Backstein von einem Buch. In schönster angelsächsischer Understatement-Tradition entschuldigt sich der Autor denn auch im Vorwort dafür, wie lang das nun doch alles geraten sei (Band Zwei ist in Planung).
Zu lang wirkt das Ganze dabei aber wirklich nie, denn bei allem Understatement: Obama kann wunderbar schreiben, locker, freundlich, schnörkellos ehrlich. Angst vor der Originalausgabe muss man deshalb auch keine haben, der klare Stil ist gut verständlich. Wenn ich mich dafür verfluche, den Weihnachtsmann ums Original angegangen zu sein, dann wegen des auf Dauer doch mühsamen Transfers der vielen politischen Fachbegriffe ( ja, „secretary of state“, das meint den Außenminister – aber stereotype „Secretary“-Assoziationen drängelten sich hartnäckig vor, und das Bild von Hillary Clinton, wie sie am Kopierer steht oder für alle Kaffee kocht, kriege ich wohl nie mehr aus dem Kopf).
Die sieben Kapitel sind zudem elegant so rhythmisiert, dass auf Abschnitte, die größere Konzentration erfordern („Dann schlug Tim vor, alle strauchelnden Banken einem ’stress test‘ zu unterziehen…“), leichter konsumierbare Verschnaufpausen folgen: Beobachtungen aus dem Alltag im Weißen Haus und dem skurrilen Alltag als First Family beispielsweise (vor jedem Kindergeburtstag, den die Obama-Töchter besuchen wollten, musste erst der Secret Service das fragliche Haus auf den Kopf stellen).
Außerdem weiß man von Anfang an, wohin das alles soll. Denn bereits im Vorwort setzt Obama ein klares Ziel: „I wanted to lift the curtain a little“. Die Leserin soll also verstehen, wie es ist, US-Präsident zu sein.
Und wie man das versteht. Welche Vorstellungen man vorher auch immer hatte, Stress und Geheimcodes und Katastrophen im Sekundentakt, sie sind einfach alle wahr.
Schon während der Kampagne fürs Präsidentenamt gibt es Mitarbeiter, die sich vor lauter Stress übergeben. Im Amt selbst ist der Takt dann noch um einiges brutaler. 12-Stunden-Tag folgt auf 16-Stunden-Tag, folgt auf eine Nacht am Schreibtisch, folgt auf Staatsbesuch in Russland (zwei Stunden lang höflich Putins Lamento übers böse Amerika lauschen), und danach eine Rede halten, und danach zu einem formalen Dinner mit dem Präsidenten von Kafiristan, und gegen Mitternacht ist es dann Zeit für die Kollegen vom Finanzkrisen-Bewältigungs-Ausschuss mit ihren Leichenbittermienen: „Sorry, Mr. President – aber jetzt ist die Arbeitslosigkeit auf neun Prozent gestiegen“.
Nie hat man genug getan, jeder Fehler wiegt 16 Tonnen (so hält der geniale, aber schüchterne Finanzminister eine Rede zur geplanten Krisenbewältigung, und jedes nervöse „Äh“, „Hmm“ und „Moment, warten Sie“ lässt die Börsenkurse sofort noch tiefer in den Keller rauschen), und ständig brüllt jemand: Leute, unsere Zustimmungswerte in New York/Kalifornien/Nebraska/im Mittleren Westen liegen nur noch bei 29 Prozent!
„Wenn das alles vorbei ist,“ scherzt Obama einmal mit einem vor Schlafmangel schon ganz durchsichtigen Kollegen, „verkaufen wir Smoothies in Hawaii!“ Und der Kollege: „Smoothies? Zu schwierig. Ich bin für T-Shirts, weiße T-Shirts, Größe M, und sonst nichts.“
Wie wohl Joe Biden in seinem, nun ja, vorgerückten Alter das alles durchstehen will?
Ein Vorteil für ihn ist sicher, dass er weiß ist. Es hätte mich, erinnere ich mich an Stil und Ton der Obama-Jahre, gar nicht gewundert, würde es in „A promised land“ nie explizit darum gehen, wie es ist, der erste schwarze Präsident zu sein – im Sinne einer impliziten Botschaft natürlich: Ob der US-Präsident nun schwarz, weiß oder lila-blaßblau ist, was macht es schon aus, solange er seine Arbeit gut macht. Soll sich daran stoßen, wer es nötig hat!
Aber sei es, weil die Gegenseite ihm dieses Privileg, aus seiner Hautfarbe kein Thema zu machen, nicht zugestand, sei es, weil er jetzt, wo politisch nichts mehr auf dem Spiel steht, offener reden kann: Natürlich geht es darum, schwarz und Präsident zu sein, wie auch das Verhältnis von schwarzen zu weißen US-Bürgern ein Thema ist. Es wird mehr als deutlich, dass rassistischer Hass auf den Präsidenten eine Konstante seiner Amtszeit war (und ein entscheidender Faktor im politischen Desaster 2016), und folglich seine Wahl ins höchste Amt als Anfang zu verstehen ist, als ein erster Schritt – und mitnichten als Zeichen für den erfolgreichen Abschluss eines Annäherungs- und Verständigungsprozesses zwischen Schwarzen und Weißen.
Nicht nur hier fällt die Bilanz ernüchternd aus. Nach den mehr als 700 Seiten hat man endgültig verstanden, dass eine Demokratie zwar mittels Wahlen den regelmäßigen Neustart vorsieht, das in der Praxis aber natürlich so simpel nicht läuft. Jeder Erfolg ist das Ergebnis zäher Verhandlungen, nie lässt sich durchsetzen, was man ursprünglich wollte. Zuviel Altlasten muss jede neue Regierung stemmen, zu sehr prägt die Geschichte eines Landes, wie das Wahlvolk die Gegenwart erlebt. Außerdem scheint mir Obama auch wirklich Pech gehabt zu haben: Amtsantritt nach acht Jahren Bush Junior (Hurrikan“Katrina“, Irakkrieg, Afghanistankrieg) mitten in einer verheerenden Finanzkrise – kein Wunder, dass in den USA eine Zeitlang der Treppenwitz kursierte „And once again: Black guy gets worst job“.
Aber was man auch versteht: Für Obama, diesen Workaholic, mit natürlicher Stressresistenz gesegnet („Ich komme aus Hawaii, da sind es nie weiter als fünf Minuten zum nächsten Strand“), hat dieses Amt wunderbar gepasst. Wie großartig, um die Welt zu reisen, beeindruckende Menschen zu treffen; mit klugen, engagierten Kollegen, meist die weltweit besten ihres Fachs, zusammenzuarbeiten; der Teamgeist, die Running Gags. Im Weißen Haus zu wohnen, das vor Historie platzt. Sich daran freuen, wie das schwarze Personal auf die erste schwarze First Family reagiert. Das Weiße Haus in einen Hotspot für junge Künstlerinnen und Künstler verwandeln, unter ihnen ein gewisser Lin-Manuel Miranda („Ich arbeite gerade an einem Musical über Alexander Hamilton.“). Wie erfüllend, für die vielfältige USA und für all die Menschen mit ihren Geschichten etwas bewirken zu können.
Bei allen Rückschlägen läuft Obamas Botschaft also mitnichten auf „Pfoten weg von Politik, bringt ja eh nichts“ hinaus. Damals bei den Wahlen wollten ihn die Amerikaner als Präsidenten wegen seines Optimismus, seiner Überzeugungskraft, wegen „Yes we can“. All dies findet sich wieder in „A promised land“: Verwöhnt mit freundlichen Anekdoten aus dem Weißen Haus, beflügelt von den klug aufbereiteten Informationen (Ich kleines Birnchen habe den Nahostkonflikt kapiert! Ich kann anderen die Finanzkrise erklären! Ich blicke plötzlich durch bei den internationalen Handelsbeziehungen! Yes, I can!) will man einfach zusammen mit dem Autor – man mag politisch von ihm halten, was man will – an jenes „Promised Land“ glauben, das der Titel voller Hoffnung heraufbeschwört.
Barack Obama: A promised land.
ISBN-10: 0241491517
751 Seiten.
Penguin Books.