Jenny studiert Theaterwissenschaften im grauen, noch sichtbar an Kriegsschäden laborierenden Ostberlin der ausgehenden 1950er Jahre.
In ihrer Studentenbude darf sie nichts an die Wände hängen, weil das die Uralt-Blümchentapete gefährden könnte.
Der geliebte Robert darf nicht bei ihr übernachten, weil sie nicht verheiratet sind, und sie natürlich auch nicht bei ihm – was nach jeder Liebesnacht einen mühsamen Heimweg quer durchs nachschlafende Berlin ins eigene Bett bedeutet.
Aber trotz aller konservativen 50er- Jahre-Moral lebt es sich nicht schlecht in der Hauptstadt: In der „Eierschale“ spielen sie Jazz, es gibt Kinos und Theater und die Oper unter den Linden, Ausflüge an den verwunschenen Müggelsee oder nach Potsdam in die Gärten von Sanssouci.
An der Uni hält man zusammen und lässt sich nicht von „Scharfmachern“ aus der Partei irremachen, und wer eine Pause braucht vom politischen Übereifer der jungen DDR, kann über die offene Sektorengrenze nach Westberlin fahren, die Augen ausruhen vom Braunkohlemief des Ostens, Schuhe bei Salamander kaufen oder schicke Halstücher und Nivea-Creme auf dem Ku’damm. Weiterlesen „Zum 3. Oktober (I): Irene Ruttmann: Das Ultimatum“