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Outlaw/King

Als ich vierzehn war, lief „Braveheart“ in jedem Kino. Man kann ein paar gewichtige Sachen sagen gegen diesen Film, aber eines muss man Mel Gibson lassen: Es war ihm wirklich ernst damit. Er wollte die Geschichte von William Wallace erzählen, unbedingt. Und dieser Ernst, das weiß ich noch, war neu. Bis „Braveheart“ kam, waren Abenteuerfilme, ob nun im historischen oder komplett erfundenen Setting, eine harmlose Sache, dauerten 90 Minuten, man konnte super Chips oder saure Stäbchen dazu essen, und spätestens nach einem Tag hatte man sie komplett wieder vergessen.
„Braveheart“ dagegen dauerte drei Stunden, brauchte ordentlich Bier als Grundlage für all die Emotionen und die Gewalt, und noch Wochen später brüllten wir einander Wallace‘ letzte Worte zu („Freiheit! Freiheit!“) oder diskutierten, wiederum bei einigem Bier, die logischen Fehler in den Kampfszenen.

„Outlaw/King“ nun wiederum, der die Geschichte von Robert Bruce erzählt, dem schottischen König, der die Engländer endlich vertreiben konnte, macht aus dem weiten Themenfeld „Schottischer Freiheitskampf“ etwas völlig anderes. Klar fiebert man mit, hält Bruce die Daumen, der sich mit seinen fünzig Leuten durchs Hochland schlägt auf der Flucht vor den Engländern und verräterischen Clans, guckt verzweifelt weg, wenn wieder mal die Engländer einen armen schottischen Burgherrn aufschlitzen, und verdrückt eine Träne, wenn der melancholische Black Douglas aus Bruce‘ Gefolge von seinen Eltern erzählt, die von den Engländern vertrieben und wahrscheinlich ermordet wurden. Aber zum Mitgrölen und Filmfehler-Diskutieren taugt das alles nicht. Der Film bringt seinen ganz eigenen Ernst mit und zieht von der Schlichtheit der Kostüme bis zur zurückhaltenden Farbgebung, braun wie die schottische Heide, ganz entschieden in Richtung Realismus, Nähe, Authentizität. Immer wieder gibt es diese stillen Einstellungen, wie ein Luftholen, zum Teil herzzereißend traurig: Im Dunkel eines englischen Gefängnisses schimmert noch hell der Apfelbutzen, den Bruce‘ Tochter Marjorie abgenagt hat, bevor sie ins nächste Gefängnis verschleppt und damit endgültig von der Familie getrennt wird. Im Straßengraben liegt erschlagen ein Bauer, der dem ungeduldigen englischen Heer im Weg stand auf ihrem Weg nach Norden, und die Äpfel aus seinem Karren kullern um ihn herum.
Zu dieser Stille passt auch, wie Hauptdarsteller Chris Pine seinen Bruce interpretiert: In einer Schlüsselszene hängen die fiesen Engländer einen Arm des in London zerhackstückelten Wallace auf dem Marktplatz von Berwick auf – eine perfide Machtdemonstration natürlich, seht her, was wir mit euren Helden machen. Bruce und sein Gefolge sind zufällig auch da, und jetzt erleben sie mit, wie sich die Bürger von Berwick wütend auf die Engländer werfen, Küchenmesser gegen bewaffnete Reiter: Für Wallace, ihr Verbrecher! Pine spielt einen sehr bedächtigen, beinahe schüchternen Bruce, und folgerichtig bleibt er hilfloser Beobachter, sehen wir nur an seinem Gesicht, in dem sich so glaubhaft Entsetzen und Erkenntnis mischen, dass die Krawalle in Berwick ein turning point für seinen Charakter sind und ihn dazu bewegen werden, sich an die Spitze des schottischen Widerstands zu stellen.
Den überzeugenden, leidenschaftlichen Gegenpol zu Pines Ruhe liefert dann Florence Pugh als seine zweite Ehefrau. Im Film fängt es eigentlich nicht gut an mit den beiden: Bruce trauert noch um seine erste Frau, aber als Zeichen der Treue zu England muss er halt nochmal ein passendes Bündnis eingehen, so war das damals eben, niemand fragt ihn, niemand fragt sie, von irgendwo kommt noch ein lakonisches „The fathers may kiss“. Aber diese zweite Frau ist ein mutiger, starker, temperamentvoller Glücksgriff, stellt sich englischen Soldaten entgegen, lässt sich von ekligen Hochzeitsnacht-Witzen nicht aus dem Konzept bringen und behält auch noch in englischen Kerkern und angesichts englischer Psycho-Folter ihren klaren Kopf. Damit hat „Outlaw/King“ zwei Hauptfiguren, und damit schenkt uns der Film nicht nur eine sehr schöne Liebesgeschichte, sondern ist auch erreicht, was immer noch viel zu selten zu sehen ist: Eine eigenständige, beinahe moderne weibliche Hauptrolle, die im Grunde genauso gut auf dem schottischen Thron aufgehoben wäre wie Bruce selbst.

Wobei der Film über so viel Modernität und Vernunft dann doch zuweilen stolpert. Zum Schluss gibt eine gewaltige Schlacht, Loudon Hill, bei der sich alle früher oder später brüllend im Schlamm wälzen – klar, so war das, aber man hat zu diesem Zeitpunkt schon zu viel Vernunft und Ruhe gesehen, um noch so richtig mitgehen zu können. Was tun die denn da! Wo steckt nur Bruce‘ kluge Frau, wenn man sie braucht.

Aber insgesamt weiß das Team von „Outlaw/King“ genau, wohin. Wenn Gibson den Beweis antrat, dass historische Stoffe etwas sind, mit dem man Vierzehnjährige zum Mitgrölen kriegen kann, dann  beweist dieser Film, dass das Thema Freiheitskampf zeitlos ist und die Auseinandersetzung damit etwas für erwachsene, aufmerksame Zuschauer sein kann – und nicht nur zwangsläufig ein guilty pleasure fürs innere Pubertier.

Outlaw/King (2018). Regie: David Mackenzie. Mit: Chris Pine, Florence Pugh, Stephen Dillane, James Cosmo, Billy Howle u.v.a.

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The Spy (Netflix)

Ich wurde ganz gierig: „The Spy“, Regisseur Gideon Raff, Hauptdarsteller der schöne Sacha Baron Cohen. Raff hat „Hatufim“ gedreht, das israelische Vorbild für „Homeland“. Und als Schmalspur-Historikerin steh ich ja sowieso auf Spionage-Serien in Vintage-Optik, inspired by true events.

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