Übersicht, Texte

Bücherflocke: Best Of

Bands machen das ja eigentlich, so Best-Of-Alben. Ich schau mir das jetzt ab und mache es einfach auch. Fünfmal Flocke at her best. Aus Flockensicht.

Bananen spielen hier eine Schlüsselrolle.

Introvertiert einen Kaffee trinken wollen ist hier Thema.

Eine Rezension einer wunderschönen Graphic Novel.

Der Versuch, an mehr Lifestyle zu kommen.

Fliegende Teppiche wagen sich nachts alleine raus.

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Was in der nächsten Woche dringend passieren sollte

Es sollte jemand die Öffnungszeiten der Post in unserem kleinen Dörfchen dahingehend manipulieren, dass Pakete-Abholen in einem realistischen Zeitfenster, also ohne Übernachtung unter freiem Himmel in unmittelbarer Filialennähe, stattfinden kann.

Es sollte die kleine Flocke nicht mehr gegen 24 Uhr hellwach sein und mir diverse Kuscheltiere mit der Bitte um einen umfassenden gesundheitlichen Plüschtier-Check-Up ins Gesicht drücken.

Es sollte Air Iceland mir einen Gutschein für einen Hin- und Rückflug nach Island schenken.

Es sollte S. sich auf eine dreimonatige Europa-Tour auf den Weg machen, unterwegs mit Straßenmusik sein Geld verdienen und voller Tattoos und mit vielen Geschichten und coolen Kumpelz im Gepäck gestärkt und voller Ruhe wieder zurückkehren.

Es sollte der Krieg –

Es sollte das Klima –

Es sollte – dear God.

Ja, das alles sollte dringend in der nächsten Woche passieren.

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Schilf, Wasser

Das Ufer ist alles. Es folgt so sanft dem Wasserlauf, so freundlich, die lächelnde Kurve. Ich berühre mit einer Hand den aufrecht wachsenden Schilf, rechts von mir. Ich folge dem Ufer, ich sehe die Oberfläche des Wassers mir folgen, neugierig. Ich fühle mich schuldig, denn ich habe diesem Wasserlauf nichts zu erzählen, und das Wasser will doch immer etwas Neues hören!
Was willst du, frage ich die Wasseroberfläche, was kann ich dir sagen? Du hast so viel gesehen, während ich hier geblieben bin und nichts anderes tun kann, als die Schilfhalme zu berühren. Dem Wasser folgen. Es ist so freundlich, es ist so neugierig, es hat so viel gesehen. Was willst du von mir, flüstere ich, und die Frage verfängt sich im Schilf, das so gerade neben mir wächst, am Ufer, das sich langsam krümmt, wie im Schmerz. Das strömende Wasser, die sanfte Ruhe der Oberfläche, die Frage, die es mir stellt.
Als Kinder haben wir Boote gebaut, die nie geschwommen sind, immer sind sie gesunken, und unsere Eltern haben die Augen verdreht, als wir nach Hause gekommen sind mit nassen Schuhen, Socken, Hosen und Shirts. Wenn mir das Wasser jetzt in die Schuhe liefe, was würde ich tun? Der Weg nach Hause ist weit ohne Schuhe. Es wäre ein Weg mit nassen Füßen. All die Boote, die gesunken sind, Kinderboote, aus Baumrinde, aus Schuhkartons, aus alten Dosen und leergelutschten Sunkist-Packungen. Unten im Wasser liegen sie und hoffen auf nichts mehr.

Dieser Text ist im Rahmen eines vhs-Kurses entstanden, den ich leider nur anderthalb Male besuchen konnte. Trotzdem vielen Dank dafür.
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Ich pflanze ein Apfelbäumchen

Der gutaussehende Berufskiller ist für ein paar Tage auf meiner Couch aufgeschlagen, weil ihn seine neue Flamme rausgeworfen hat. Jetzt sitzt er dort herum, raucht demonstrativ melancholisch und hat keine Lust auf die Muffins, die ich ihm anbiete.
Als uns endgültig der Gesprächsstoff ausgeht, beschließen wir, die Bäumchen einzupflanzen, die mir Baumschule Frostmann & Hampel vor ein paar Tagen geliefert hat, fachgerecht in nachhaltige Holzwolle verpackt. Nach einigem Hin und Her fangen wir mit einem Bonsai-Zierapfel an, Malus „Pomzai“, maximale Wuchshöhe ein Meter fünfzig, für meinen schmalen Vorgarten ideal. Während ich im Schuppen nach Dünger und der letzten Komposterde grabe, schaufelt der gutaussehende Berufskiller routiniert ein Loch in den Boden.
„Was machen Sie denn da. Da soll ein Baum rein, kein Mensch.“
„Sorry. Bin einfach schon zu lange im Geschäft.“
Und schließlich steht das Bäumchen an seinem Platz, lächelt uns scheu an mit seinen rosa Blüten, und der gutaussehende Berufskiller verliert die Fassung. Kate Chopin schreibt in ihren Erzählungen darüber, wie anders Männer weinen als Frauen. Ich wünsche mir Chopin zu uns auf den schütteren Rasen, um sich den gutaussehenden Berufskiller anzusehen, wie er genauso männlich weint und ihm die Tränen lautlos über das schöne Gesicht rinnen.
Später am Tag steht er in meiner Bürotür, den schwarzen Rucksack über der linken Schulter. „Dann breche ich mal so langsam wieder auf.“
„Wo wollen Sie denn hin?“
„Verbotene Frage. Regel Nummer Eins.“
„Danke für Ihre Hilfe.“
„Kein Thema.“
„Ich schicke Ihnen ein Foto, wenn der Baum richtig blüht.“
„Nope. Dazu bräuchten Sie meine Kontaktdaten.“
„Die Sie nicht rausgeben.“
„Regel Nummer Zwei.“
Durchs offene Fenster kommen Stimmen. Radio. Die Nachbarn hören Nachrichten. Ich stelle mich taub. Er sich ganz offensichtlich nicht.
„Na dann.“ Er seufzt.
„Machen Sie mal bloß keinen Unfug,“ sage ich. Er starrt mich einen Moment an, und dann geht er einfach und dreht sich nicht mehr nach mir um.

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Was in der nächsten Woche dringend passieren sollte

Es sollte auf der anderen Straßenseite eins von diesen Guerrilla-Cafés aufpoppen, wo es dann zum Anwohner-Vorzugspreis Café frappé für mich gäbe und fluffy pancakes mit Erdbeerschaum.

Es sollte Merlin erwachen aus seinem Zauberschlaf unter dem Weißdornbusch und das leidende, sich selbst zerfleischende Britannien sanieren.

Es sollten uns frische Bananen in Zukunft nur noch dann ins Haus kommen, wenn wirklich dringender Bedarf besteht, denn zum einen könnten wir dann damit aufhören, zu jeder Mahlzeit nach Möglichkeit auch eine Banane zu essen, und außerdem blieben mir diese Träume erspart, in denen zwei sehr braune Bananen auf meiner Bettdecke sitzen und geduldig darauf warten, dass ich aufwache.

Es sollte eine Herde zottiger Longhorn-Rinder mit diesen großen, geschwungenen Hörnern durch unsere Straße ziehen und sich ausgiebig von mir kraulen lassen, weil ich zottige Longhorn-Rinder mit großen, geschwungenen Hörnern schon immer ausgiebig kraulen wollte.

Es sollte Zeus eine Handvoll wütender Blitze auf die aktuellen Olympischen Spiele schleudern.

Ja, das alles sollte dringend noch in dieser Woche passieren.

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Was in der nächsten Woche dringend passieren sollte

Es sollte Angela Merkel eine Biografie herausbringen mit dem Titel „Ich gegen die alten Säcke. Mein subtil feministisches Über-Ich bricht sein Schweigen.“

Es sollte die blaue, schimmernde Fee mit gewohnt heiterem Lächeln vor unserer Haustür auf- und abschweben, etwas Feen-Zauber über die kleine Flocke sprechen und uns einen Beutel Zaubertee „Mut am Montag“ dalassen.

Es sollte ein verwegener Graffito-Künstler „Ja, wir waren jung – aber ihr wart noch nie alt“ an unser Seniorenheim sprühen (ich bin zu feige).

Es sollte W. seine Operation gut überstehen.

Es sollte der gutaussehende Berufskiller in Weißrussland für Fakten sorgen, im Übrigen wieder Single sein und in diesem Sinne auf dem Rückweg bei mir vorbeischaun.

Es sollten Seidenstrumpfhosen erfunden werden, die mich nicht nach einer Viertelstunde fies in den Bauch zu kneifen beginnen.

Ja, das alles sollte dringend in dieser Woche passieren.

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Ich spüle ein Messer

Als wir neulich Geld hatten, haben wir uns drei noble Küchenmesser geleistet. Ein kleines, eins  mittel und eins ganz groß. Und wenn ich für ein nettes Vorfrühlings-Caprese sachte Tomaten und einen mürben Mozzarella zerteile mit dem ganz großen Messer, so perfekt ausbalanciert, weiß ich einfach ganz genau, dass es jeden Cent wert war.

Dass man die teuren Dinger immer von Hand spülen muss, nervt allerdings trotzdem. Emsig schrubbe ich die teure Klinge, und wie bei Hausarbeit eigentlich immer legt sich mein Gehirn in kuriose Falten. Weiterlesen „Ich spüle ein Messer“

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„Why does it have to be fun?“

Ich werde immer dann sauer, wenn Leute vor meinem Bücherregal stehenbleiben und beim Anblick von Literatur zum 20. Juli, oder zum Vietnamkrieg, oder bei sowas wie „Unorthodox“ etwas in die Richtung von sich geben wie: „Das tust du dir freiwillig an? Also für mich wäre das ja gar nichts!“

Im Klartext: Dein armes, graues Leben will ich nicht geschenkt haben, du spaßfremde kleine Miesmuschel!

Eine mögliche Reaktion ist die pseudo-harmlose Tour, gerne mit unschuldig aufgerissenen Augen: „Wieso, also ich lese jeden Abend in ‚Heißzeit – wie Sie Ihre Familie am besten evakuieren'“, sonst kann ich nicht einschlafen!“

Oder der gute alte Gegenangriff: „Und du als GoT-Fan hast dir acht Staffeln voller abgeschnittener Köpfe/Brüste/Pimmel reingezogen, wie nennst du denn das?“

Oder man wirft diese Leute einfach raus und überlegt dann alleine für sich, dass sie gar nicht mal so unrecht haben. Weiterlesen „„Why does it have to be fun?““

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Das frivole Museum

Von meiner Omi habe ich eine Handvoll Schmuck geerbt, zwei Fast-Biedermeier-Stühle und diese wild geblümten Overalls aus den Siebzigern. Außerdem ein schmales Bändchen mit dem vielsagenden Titel „Das frivole Museum“, fünfte Auflage 1961.

Möglich, dass das heute als ironisch-cooles Coffeetable Book durchginge. Damals fiel sowas in die artige Kategorie „Schmunzelbuch“, Zielgruppe waren die gebildeten oberen Zehntausend, und schmunzeln sollten sie darüber, dass berühmte Werke der bildenden Kunst, Gemälde oder Skulpturen, sich in Form ganz alltäglicher Sätze selbst zu Wort melden.

Also, zum Beispiel: Dürers Selbstportrait mit den auffallend langen Locken, berühmtes Statement eines selbstbewussten Künstlers, der Geist der Renaissance weht uns an. Und im Frivolen Museum steht dann drunter: „Also ich habe mit Heimkaltwelle nur gute Erfahrungen gemacht“.

Für mich atmet das die Fünziger Jahre wie nichts anderes, vor allem die obskure Heimkaltwelle, von der ich bis heute nicht weiß, was das bitte sein soll, ich stelle mir da immer eine Art mechanische Steampunk-Trockenhaube vor. Keine Fifties-Lampe oder diese mundgeblasenen Schalen oder was die Hipster sonst noch horten, kommt da ran. Und wie meine Omi war als Mensch, und wie mein alberner Großvater, der mich noch gekannt hat, aber ich ihn nicht, weil er relativ früh starb, und wie die heitere Ehe dieser beiden, und ihr High Life in den Fünfzigern, Reisen, Glamour, Parties, endlich ordentlich Geld verdienen, endlich Luxus und nobel gedeckte Tische statt hastig aus dem Rucksack fressen wie an der Front, das enthält dieses Bändchen auch, unschlagbar.

Interessanterweise zündet die Grundidee vom „Frivolen Museum“ am besten bei den wirklich berühmten, klassischen Sachen (Dürer, Michelangelo) und bei moderner Kunst (Mirò, Duchamp) irgendwie nicht so gut. Interessant auch, dass einige der frivolen Heiterkeiten natürlich auf Kosten der abgebildeten Frauen gehen. Ob die Art platter Sexismus damals wirklich niemanden gestört hat?

Wobei es mich eigentlich auch nicht wirklich stört, gebe ich zu. Zu viele Erinnerungen hängen an diesen Witzchen, zu hartnäckig folgen sie mir von Museum zu Museum. Steh ich vor der Nofretete, macht es bling! und ich denke sofort: „Mit diesem Hut steche ich sie alle aus!“ Die Laokoon-Gruppe will mich beeindrucken, aber meine innere Tagline ist schneller: „Nimm doch mal einer den Hörer ab!“

Von meiner Omi habe ich Schmuck geerbt und zwei Stühle und diese Siebziger-Overalls im unmöglichen Blumenmuster. Ich kann ihr nicht mehr sagen, dass für mich ein schmales Bändchen herzzereißender Albernheiten, aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Land, absolut am meisten zählt. Ich schätze aber mal, sie weiß es: Spätestens in der alten Pinakothek, irgendwann wird Corona ja vorbei sein und man kann wieder hin, wenn ich Dürers Selbstportrait sehe mit den langen Locken, die Renaissance, die Entdeckung des Ich, der Stolz des selbstbewussten Künstlers, wird ein fettes Blinklicht im Jenseits leuchten bis zu mir: „Also ich habe mit Heimkaltwelle nur gute Erfahrungen gemacht“.