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Floh de Cologne: Rotkäppchen

Floh De CologneEs war einmal. Eine freche Göre namens Rotkäppchen. Weißohr, Rotkäppchens zahmer Hase, der die Hasencommunity zum Widerstand gegen den machtgeilen Oberförster aufruft. Ein Wolf, der in piekfeinem Anzug durch den Wald streift und gerne einmal mit fettem „Ploiing“ seine frisch geschärften Zähne in den nächsten Eichenstamm haut. Eine Großmutter, die Bier trinkt und beim FC im Tor steht. Eine Schlange mit ihrer ganz eigenen Agenda. Eine alberne Schallplatte, die das alles erzählt (jaaa, Schallplatten, aber bitte nicht die Augen verdrehen, Plastiktelefone zum Spielen, so richtig mit Hörer und Schnur, gibt es doch auch noch, oder?). Zwei nervtötende, aber eigentlich gutherzige, Flöhe, die dieser Schallplatte andauernd auf die Nerven fallen und gerne einmal im fröhlichen Kanon „Floh zu sein bedarf es wenig“ anstimmen.
Floh de Cologne, eine in den wilden 60ern gegründete Künstlertruppe, die fast 20 Jahre Bestand hatte und unter anderem Musicals namens „Lucky Streik“ produzierte, dreht in dieser „Rotkäppchen“-Version eines unserer berühmtesten Märchen auf links. Im wahrsten Sinne. Weiterlesen „Floh de Cologne: Rotkäppchen“

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Das frivole Museum

Von meiner Omi habe ich eine Handvoll Schmuck geerbt, zwei Fast-Biedermeier-Stühle und diese wild geblümten Overalls aus den Siebzigern. Außerdem ein schmales Bändchen mit dem vielsagenden Titel „Das frivole Museum“, fünfte Auflage 1961.

Möglich, dass das heute als ironisch-cooles Coffeetable Book durchginge. Damals fiel sowas in die artige Kategorie „Schmunzelbuch“, Zielgruppe waren die gebildeten oberen Zehntausend, und schmunzeln sollten sie darüber, dass berühmte Werke der bildenden Kunst, Gemälde oder Skulpturen, sich in Form ganz alltäglicher Sätze selbst zu Wort melden.

Also, zum Beispiel: Dürers Selbstportrait mit den auffallend langen Locken, berühmtes Statement eines selbstbewussten Künstlers, der Geist der Renaissance weht uns an. Und im Frivolen Museum steht dann drunter: „Also ich habe mit Heimkaltwelle nur gute Erfahrungen gemacht“.

Für mich atmet das die Fünziger Jahre wie nichts anderes, vor allem die obskure Heimkaltwelle, von der ich bis heute nicht weiß, was das bitte sein soll, ich stelle mir da immer eine Art mechanische Steampunk-Trockenhaube vor. Keine Fifties-Lampe oder diese mundgeblasenen Schalen oder was die Hipster sonst noch horten, kommt da ran. Und wie meine Omi war als Mensch, und wie mein alberner Großvater, der mich noch gekannt hat, aber ich ihn nicht, weil er relativ früh starb, und wie die heitere Ehe dieser beiden, und ihr High Life in den Fünfzigern, Reisen, Glamour, Parties, endlich ordentlich Geld verdienen, endlich Luxus und nobel gedeckte Tische statt hastig aus dem Rucksack fressen wie an der Front, das enthält dieses Bändchen auch, unschlagbar.

Interessanterweise zündet die Grundidee vom „Frivolen Museum“ am besten bei den wirklich berühmten, klassischen Sachen (Dürer, Michelangelo) und bei moderner Kunst (Mirò, Duchamp) irgendwie nicht so gut. Interessant auch, dass einige der frivolen Heiterkeiten natürlich auf Kosten der abgebildeten Frauen gehen. Ob die Art platter Sexismus damals wirklich niemanden gestört hat?

Wobei es mich eigentlich auch nicht wirklich stört, gebe ich zu. Zu viele Erinnerungen hängen an diesen Witzchen, zu hartnäckig folgen sie mir von Museum zu Museum. Steh ich vor der Nofretete, macht es bling! und ich denke sofort: „Mit diesem Hut steche ich sie alle aus!“ Die Laokoon-Gruppe will mich beeindrucken, aber meine innere Tagline ist schneller: „Nimm doch mal einer den Hörer ab!“

Von meiner Omi habe ich Schmuck geerbt und zwei Stühle und diese Siebziger-Overalls im unmöglichen Blumenmuster. Ich kann ihr nicht mehr sagen, dass für mich ein schmales Bändchen herzzereißender Albernheiten, aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Land, absolut am meisten zählt. Ich schätze aber mal, sie weiß es: Spätestens in der alten Pinakothek, irgendwann wird Corona ja vorbei sein und man kann wieder hin, wenn ich Dürers Selbstportrait sehe mit den langen Locken, die Renaissance, die Entdeckung des Ich, der Stolz des selbstbewussten Künstlers, wird ein fettes Blinklicht im Jenseits leuchten bis zu mir: „Also ich habe mit Heimkaltwelle nur gute Erfahrungen gemacht“.  

 

 

 

 

 

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Barbara Robinson: Hilfe, die Herdmanns kommen!

Ach, das Krippenspiel. Es gehört zu Weihnachten wie der immergrüne Baum. In Barbara Robinsos erfrischendem Kinderbuch, längst ein Klassiker, gerät eine nette kleine US-Kleinstadt durch verunglücktes Krippenspiel-Casting in Aufruhr. Weiterlesen „Barbara Robinson: Hilfe, die Herdmanns kommen!“

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Shaun Tan: Ein neues Land

Die Geschichte ist einfach: In einem armen Land lebt eine kleine Familie, Vater, Mutter, Kind. Der Vater hat sich entschieden, in die Fremde zu ziehen, um dort Geld zu verdienen. Wir sehen, wie er am letzten Morgen zu Hause ein Familienfoto von der Wand nimmt, es sorgsam in Papier einschlägt, es zuoberst in den abgeschabten Koffer legt.

Dann der Abschied von Frau und Tochter, die lange Fahrt übers Meer in einem riesigen, Titanic-ähnlichen Auswandererschiff.
Im neuen Land gilt es langwierige Einreise-Formalitäten zu überstehen, medizinische Untersuchungen, Formulare, Stempel. Einmal aufgenommen, steht die mühsame Suche nach einer Bleibe an, und nach Arbeit. Zum Glück gibt es noch andere Emigranten, die den Neuankömmling willkommen heißen, ihm weiterhelfen, nach seiner Geschichte fragen und ihre eigenen erzählen. Nach einem Jahr Arbeit kann er endlich Frau und Kind zu sich holen. Das letzte Bild zeigt seine fröhliche kleine Tochter, ganz offensichtlich integriert in der neuen Heimat, wie sie eifrig einer jungen Fremden, die verloren neben ihrem Koffer steht, den Weg weist. Eine Migrationsgeschichte, an deren Ende die gelungene Integration steht. Also alles gut?

Ja und nein.

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John Reynolds Gardiner: Steinadler

Willys Großvater ist krank. Tag für Tag bleibt er einfach im Bett liegen, ohne sich zu rühren, ohne zu sprechen. Erst als im Auftrag des Staats Wyoming einer von den „Stadtgecken“, wie der Großvater sie immer nennt, vor der Tür steht, das Lächeln dünn, die Zigarre dick, und 500 Dollar Steuernachzahlung fordert, versteht Willy den Grund dafür. 500 Dollar, sonst ist die Farm weg, auf der sie leben, Willy, der Großvater, und die treue Hündin Spürnase.

Ein Glück, dass es Spürnase gibt. Mit ihr zusammen kann Willy die Felder der Farm umpflügen, oder zum Vergnügen stundenlang mit dem Schlitten durch den Tiefschnee Wyomings sausen, schneller als alle anderen.

Da wird in der Stadt ein Schlittenhunderennen ausgeschrieben, offen für jeden, der es sich zutraut. Preisgeld: 500 Dollar.

Wäre da nur nicht Steinadler, der riesige, schweigsame Indianer. Auch er hat sich fürs Rennen angemeldet, und auf den Farmen der Umgebung tuscheln sie, dass er bisher noch nie verloren hat … Weiterlesen „John Reynolds Gardiner: Steinadler“

Bücher zur Lage, englisch, erzählend, Lieblingsbücher, reihenweise

American Dreams (1): Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

„The simplest solution to the problem of race in America? Romantic love. […]. Real deep romantic love […] that makes you breathe through the nostrils of your beloved. And because that real deep romantic love is so rare, and because American society is set up to make it even rarer between American Black and American White, the problem of race in America will never be solved.“

https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/51rLCn2j0iL._SX322_BO1,204,203,200_.jpgIfemelu will sich das Haar neu flechten lassen. Das bedeutet notgedrungen eine Expedition in den schlechten Teil der Stadt, zu „Mariama African Hair Braiding“ – schlechte Luft, Uralt-Klimaanlage, abgegriffene Modemagazine, handgemalte Schilder „Quick Tax Refund“, die Friseurinnen radebrechen etwas, das sie für Englisch halten, und aus dem Mini-Fernseher plärren Nollywood-Filme in Endlosschleife. Weiterlesen „American Dreams (1): Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah“

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Sandra Boynton: Schokolade – eine verzehrende Leidenschaft

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Was könnte wohl diesem Phänomen Schokolade, so überflüssig wie unwiderstehlich, besser gerecht werden als eine durch und durch alberne, sinnlose Sachbuch-Persiflage? Folgerichtig enthält Boyntons Buch von der Entstehung der Milchschokolade über Kakao-Produktion im Eigenbau bis zum Schogetten-Poker alles – nur keine ernstzunehmende Information.

Ihr Geheimnis: Boynton tut so, als wäre es ernstzunehmende Information; als habe sie das seriöse Standardwerk schlechthin verfasst. Um welchen Blödsinn es auch immer gehen mag („Die Physiologie und Psychologie der Schokophilie“), Boynton wahrt eisern ihr Pokerface, wie nur die besten Komiker das können: Was lacht ihr denn? Ich meine es tief, tief ernst!
Und tief, tief ernst meinen es auch all jene Elefanten, Nilpferde, Katzen, Hasen, Giraffen und Truthähne, wie sie da, hinreißend von Boynton selbst gezeichnet, als Schoko-Abhängige, unglückselige Hobby-Köche, entrückte Philosophen („Woher wissen wir, dass Schokolade ist?“) oder menschenfeindliche Ersatzschokolade-Konsumenten die Seiten bevölkern –  und uns arme, von etlichen Lachanfällen schon ganz zittrige Leser endgültig aus der Fassung bringen.

Schokolade – eine verzehrende Leidenschaft: Seriöse Fakten? Wo gibt’s denn sowas. Höchste Zeit für weniger Lerneffekt, mehr Schokolade – mehr Sandra Boynton.

Sandra Boynton: Schokolade. Eine verzehrende Leidenschaft.
109 Seiten.
ISBN: 3770115228
DuMont.

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Joan Aiken: Schattengäste

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Ein Alptraum für den gerade 13 Jahre alten Cosmo, der mit seiner Familie im australischen Outback lebt: Seine Mutter und sein Bruder sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der Vater plant den Neuanfang in England, der alten Heimat der Familie, und schickt Cosmo zuerst auf die Reise.

Ein schrecklicher Verlust, ein neues Land, eine neue Schule, bis zur Ankunft des Vaters bei einer erwachsenen Cousine wohnen, die Cosmo noch nie gesehen hat: Geht es noch schlimmer?

Immerhin erweist sich die kluge, einfühlsame Cousine Eunice als ein Glücksfall, und in ihrem verwunschenen Haus, einem alten Mühlengebäude in einem abgelegenen Tal, fühlt sich Cosmo auf Anhieb wohl.

Doch Cosmos Gegenwart in der Mühle scheint alte Geister wieder zum Leben zu erwecken … Weiterlesen „Joan Aiken: Schattengäste“

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Curtis Sittenfeld: Eine Klasse für sich

https://s3-eu-west-1.amazonaws.com/cover.allsize.lovelybooks.de/eine_klasse_fuer_sich-9783746624136_xxl.jpgLee Fiora, vierzehn Jahre alt und der Star ihrer High School, träumt davon, an ein ehrwürdiges Internat zu gehen, Richtung New York oder Boston – Spaziergänge durch goldenes Herbstlaub, efeuumwachsene Backsteinmauern, süße, höfliche Jungs.

Aber als ihre Träume wahr werden und sie tatsächlich ein Stipendium für das renommierte Ault erhält, geht dort von Anfang an alles schief. Weiterlesen „Curtis Sittenfeld: Eine Klasse für sich“