Übersicht, Debüts, erzählend, Junge Leser

Angeline Boulley: Firekeeper’s Daughter

Ein Firekeeper hat eine wichtige Aufgabe: Während einer Zeremonie entfacht und hütet er das Feuer, dessen Rauch die Gebete der Gemeinschaft zu Schöpfer in den Himmel trägt. Und nicht nur das Feuer behält er im Auge, auch diejenigen, die sich dort versammeln: Bitte kein Alkohol, keinen Streit, kein Tratsch. Wo ein besonderes Feuer brennt, kann man negative Energie nicht brauchen.
Daunis Fontaine, die junge Protagonistin in Angeline Boulleys Debütroman, gehört zu diesen Firekeepern, aber eben nur halb: Ihr Vater war Native American, und in seiner Familie, die zur Stammesgemeinschaft der Ojibwe zählt, wird das Amt desjenigen, der das Feuer hütet, von einer Generation an die nächste weitergegeben. Daunis‘ Mutter dagegen ist weiß, stammt von einer alteingesessenen Familie französischer Herkunft ab, die hier im US-Bundesstaat Michigan an der kanadischen Grenze so etwas wie die Elite bilden. Ein gemischtes Erbe, mit dem zu leben wahrhaftig nicht einfach ist.

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Übersicht, Debüts, erzählend

Vive la France.

Der 14. Juli, das war natürlich vorgestern schon, aber egal. Pünktlich, das ist so deutsch! Machen wir uns locker. Entdecken wir unser inneres Frankreich. Denken wir an liberté, egalité und fraternité, was leider nicht Schwesterlichkeit heißt, wenden wir das Gesicht nach Westen, schauen wir auf ein Land, das für die Freiheit auf die Straße ging, wieder und immer wieder, als leidenschaftlicher, gnadenloser politischer Motor Europas.

Suchen wir nach Büchern (und Filmen) aus/über Frankreich. Weiterlesen „Vive la France.“

Übersicht, Debüts, erzählend, sachlich

Amy Liptrot: Nachtlichter

Wer „Nachtlichter“ liest, macht zwei Reisen zugleich: Eine psychologische, in die Seele eines alkoholkranken Menschen, dem nach zehn Jahren der Sucht endlich der Ausstieg gelingt, und eine geographische, in den äußersten Norden Großbritanniens, auf die Inselgruppe der Orkneys.

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Übersicht, Debüts, englisch, erzählend

Tara Westover: Educated

Zwei rote Tabletten liegen vor Tara auf dem Tisch. Ibuprofen. Seit Tagen hat sie Schmerzen im Ohr, eine Entzündung wahrscheinlich. „Jetzt nimm schon,“ sagt der Freund. Aber Tara zögert. Medikamente sind Teufelswerk. Das Gesundheitssystem kontrollieren die Illuminaten. Wer Tabletten nimmt, kann keine gesunden Kinder zur Welt bringen …

Tara Westover, die mit „Educated“ ihr autobiographisches Debüt veröffentlicht, ist als Mormonin im US-Bundesstaat Idaho aufgewachsen. In ihrer Familie wird nur akzeptiert, wer sich den Glaubenslehren bedingungslos unterwirft, auch wenn dies ein Leben jenseits aller Normalität bedeutet.

Die treibende Kraft hinter diesem Fanatismus ist Taras Vater. Erst als Studentin an der Brigham-Young-Universität, einer mormonischen Institution, wo ein eher gemäßigter Glaube gelebt wird, wird Tara verstehen, dass dessen Verfolgungswahn („Das Militär wird uns unsere Kinder nehmen und sie in staatliche Schulen zwingen! Wir müssen uns bewaffnen!“), seine unberechenbaren Launen, die stundenlangen fanatischen Predigten auf eine bipolare Störung zurückzuführen sind, die sich behandeln ließe – würde die Familie nur an Ärzte glauben.

Auch an Bildung glaubt bei Tara zu Hause niemand. Weiterlesen „Tara Westover: Educated“

Debüts, englisch, erzählend

Kathryn Stockett: The Help

Der Sommer ist da, mein heimisches Kino zeigt „Feel Good Movies“. Mit dabei „The Help“, die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Kathryn Stockett.
Interessant. „The Help“ spielt im US-Bundesstaat Mississippi, in den sechziger Jahren, und das war ganz sicher kein „Feel Good“. Weiterlesen „Kathryn Stockett: The Help“

Übersicht, Debüts, englisch

Trevor Noah: Born a Crime.

Längst ist die pechschwarze südafrikanische Nacht hereingebrochen, als sich die kleine Familie nach einem langen Sonntag – Sonntage verbringt man in der Kirche, so ist das eben – nach Hause schleppt: Die Mutter, der neunjährige Sohn, das Baby. Sie nehmen einen Minibus, obwohl man Minibus-Fahrern nicht trauen kann. Weiterlesen „Trevor Noah: Born a Crime.“

Leckere Auslage in Londons nobler neighborhood.
Übersicht, Debüts, englisch, erzählend, Graphic Novel, Junge Leser, reihenweise, Sunday's choice

Sunday’s choice

Sonntag: Die nächste 80-Stunden-Woche dräut. Gegen den bitteren Alltag verteilt Sunday’s choice ausgewählte Pralinen aus dem Bücherregal an hungrige Leserherzen.

Ian McEwan: Atonement. Nach Chrisopher Nolans Adrenalinstoß „Dunkirk“ musste ich hier wieder reinschaun. Dünkirchen, dieser merkwürdige Sieg-und-doch-nicht-Sieg des Zweiten Weltkriegs, gleich doppelt geschildert: Aus der Sicht eines englischen Soldaten, der die Flucht des britischen Expeditionsheers bis an die Küste mitmacht, und aus der einer jungen Krankenschwester, über deren Londoner Hospital die Dünkirchen-Katastrophe hereinbricht in Form von Hunderten schwerverletzter Soldaten.

Teju Cole: Every Day is for the Thief. Nach Adichies „Americanah“ eine weitere Stimme aus Nigeria: Coles Ich reist aus den USA, seiner Wahlheimat, zurück ins nigerianische Lagos. Seine Beobachtungen und Erfahrungen driften immer wieder vom Dokumentarischen ins Poetische, Literarisierende, was man mögen kann, aber nicht muss (liest sich zuweilen wie eine Paraphrase von „Ich bin ein großer Schriftsteller“). „Jeder Tag“ liefert fesselnde, häufig ziemlich üble Einblicke in den Moloch Lagos, der ebenso von Korruption und Gewalt in die Knie gezwungen wie von Kunst, Kultur und Zähigkeit am Leben erhalten wird.

Deborah Feldman: Exodus. Der zweite Roman nach dem autobiographischen „Unorthodox“, das mit der jüdisch-orthodoxen Satmarer Sekte abrechnete und der Autorin Morddrohungen einbrachte. Sehr viel weniger überzeugend, aber ich gebe dem Verlag die Schuld: Man sieht regelrecht vor sich, wie sie die junge Autorin dazu zwingen, möglichst bald nachzuliefern, solange die aus dem furchtlosen Debüt gewonnene Aufmerksamkeit noch anhält … Oder es liegt einfach an der Faustregel „zweiter Roman schwerster Roman“.

Lian Hearn: Heaven’s net is wide. Der Regen der letzten Wochen hat mich wieder auf die Spur dieses Fantasy-Titels gebracht, der eine fürs emotional eher im Hölzernen beheimateten Genre erstaunlich zarte Szene vorweisen kann: Der große Krieger und seine geheime Geliebte treffen sich in einem einsamen Tempel und lieben sich, während der Regen herabstürzt, ein silberner Vorhang, der das Paar für ein paar magische Stunden abschirmt von der Welt. „Heaven’s net“ ist das Prequel von Hearns Japan-Trilogie für junge Leser.

Und zum Schluss?

René Goscinny/Morris: Lucky Luke: Calamity Jane. Ja, beim Teutates, eigentlich bin ich im Asterix-Lager eher zu Hause als im Wilden Westen. Aber wo sich René Goscinny für den Mann, der schneller schießt als sein Schatten, ins Zeug gelegt hat, wie eben im Fall der Begegnung (fast eine Romanze, trotz Calamitys Knollennase) zwischen Lucky Luke und der ungehobelten Desperada Calamity Jane („Du hast mir das Leben gerettet, Luke … Falls noch ne Flasche heil ist, spendier ich ne Runde!“) kann schon wie im antiken Gallien nichts schiefgehen.

Bücher zur Lage, Debüts, englisch, erzählend, reihenweise

American Dreams (2): David Guterson: Snow falling on cedars

https://i0.wp.com/media.bloomsbury.com/rep/s/9781408806760.jpgAmity Harbor, the island’s only town, […] was an eccentric, rainy, wind-beaten sea village. […] Rain, the spirit of the place, patiently beat down everything man-made.

Guterson zeigt uns eine USA off the beaten track: Sein Kriminalroman spielt im äußersten Nordwesten, auf der entlegenen Insel San Piedro vor der Küste des Bundesstaats Washington.

Es sind die 1950er-Jahre. Der Zweite Weltkrieg ist zum Glück vorbei, und die Handvoll Menschen auf San Piedro, Weiße, ein paar Indianer, japanische Einwanderer, kann weitermachen wie bisher: Fischfang oder Erdbeer-Anbau, und einmal im Jahr zur Feier der Ernte das große Erdbeerfest mit einem bunten Umzug durchs Städtchen.

Dann geht eines Tages den Fischern einer der ihren als Wasserleiche ins Netz. Ein Unfall? Es sieht nicht danach aus … Weiterlesen „American Dreams (2): David Guterson: Snow falling on cedars“

Bloß nicht!, Debüts, erzählend

Kevin Kuhn: Hikikomori

Hiki- was? Googeln wir das mal: Eine Art Sozialphobie extremer Ausprägung, diagnostiziert erstmals in Japan – überwiegend bei jungen Männern aus der Mittelschicht mit Brüchen im Lebenslauf (Abitur nicht bestanden, an keiner Uni angenommen, keinen Job gefunden).Wen Hikikomori betrifft, der schaltet um auf Kontaktverweigerung pur, schließt sich ein in den eigenen vier Wänden des Elternhauses, monate- bis jahrelang. In Japan geben sie der allgemein vorherrschenden Hochleistungsmentaliät eine Teilschuld an diesem gruseligen Phänomen.

Klingt das nach gutem Stoff für einen spannenden Roman? Ja.

Und kriegt Kuhn so einen Roman hin? Nein. Weiterlesen „Kevin Kuhn: Hikikomori“

Debüts, erzählend, Jahrestage, reihenweise

Zum 3. Oktober (II): Thomas Brussig: Wasserfarben

Anton Glienicke steht kurz vor dem Abitur und hat keine Ahnung, wohin mit sich und seinem Leben. Journalistik studieren fällt flach, wegen Westverwandtschaft. Und zu etwas anderem hat er keine Lust.

Also baut er erst einmal den üblichen Mist aller planlosen Jungs kurz vor dem Schulabschluss: Die Eltern der braven Freundin schockieren, sich in der S-Bahn besaufen, mit dem Direktor der Oberschule Streit anfangen. Harmlos, eigentlich.
Nur sind wir hier im Ostberlin der 80er Jahre, weit und breit kein Mauerfall in Sicht, und harmlos ist hier gar nichts. Weiterlesen „Zum 3. Oktober (II): Thomas Brussig: Wasserfarben“